Inspiriert durch die Blogparade von Martina Baehr zum Thema Wandel durch Wertschätzung habe ich mir ein paar Gedanken dazu gemacht, was ich unter Wertschätzung verstehe und was sie mit der eigenen Berufung zu tun hat. Wie definiere ich Wertschätzung? Und inwiefern ist sie für die eigene Berufung wichtig?
Zunächst einmal herzlichen Dank für die bisherigen Beiträge der Blogparade und die wunderbare Zusammenfassung durch Martina Baehr. Ich hatte meinen Blogpost eigentlich schon fertig, wollte vor der Veröffentlichung jedoch unbedingt wissen, was andere zum Thema „Wertschätzung“ zu sagen haben und deswegen alle aufmerksam durchgelesen. Dank der unterschiedlichen Beiträge habe ich meine Auslegung von Wertschätzung noch einmal hinterfragt und bin zu einem ganz neuen Ergebnis gelangt.
Diese zwei Ausgangsfragen habe ich mir gestellt:
- Woher kommt eigentlich der aktuell massive Wunsch nach gegenseitiger Wertschätzung?
- Fängt Wertschätzung wirklich bei sich selbst an?
Erkenntnis zu Frage 1: Die Zeiten haben sich geändert
Gemäß vieler Geisteswissenschaftler befindet sich unsere Gesellschaft auf dem Weg vom Industriezeitalter über das der „Informationen und Wissensarbeit“ zum Zeitalter der „Weisheit“. Das bedeutet, dass die Umgangs- und Führungsmechanismen, die im Industriezeitalter mit dem Fokus auf Maschinen gewirkt haben, jetzt obsolet sind. Doch viele Unternehmen haben zwar ihre Arbeitsplätze und Organisationen auf das Informations- und Wissenszeitalter umgestellt, hinken jedoch mit der Unternehmens- und Führungskultur hinterher oder schlimmer noch, sind sich der benötigten Veränderung gar nicht bewusst. Die Mechanismen von „Du bist hier zum Arbeiten und nicht zum Denken“, „Vorgesetzter und Untergebener“ oder „extrinsische Anreizelemente“ funktionieren heute nicht mehr. Die Angestellten von heute möchten wissen, wofür sie etwas tun und als gestaltende Personen, die einen Wert zum Ganzen beitragen, wahrgenommen werden. Heute haben wir die Freiheit zu wählen und immer mehr Menschen entscheiden sich für Tätigkeiten, die sie ausfüllen und die für sie sinnstiftend sind, statt für einen ausschließlich hochdotierten Job oder Karriere um jeden Preis.
Erkenntnis zu Frage 2: Die Bedürfnisse anderer schätzen
Viele Blogger der o.g. Blogparade vertreten die Meinung, dass Wertschätzung bei sich selbst anfängt. Diese Meinung habe ich bisher auch vertreten, doch nach reichlicher Überlegung bin ich nun zu einer anderen Einstellung gelangt: Sicherlich gibt es viele Menschen, die ihre eigenen Fähigkeiten, ihr Verhalten oder ihr ganzes Auftreten ständig kritisieren und ihrer Person wenig Positives abgewinnen können, sprich eigene Geringschätzung. Doch gibt es nicht mindestens genau so viele Menschen, z.B. einige Führungskräfte, die sehr von sich, ihren Werten, ihren Fähigkeiten und ihrem Verhalten überzeugt sind, bis hin zur Selbstüberschätzung? Und ist z.B. Entwicklungshilfe nicht auch ein Akt der Wertschätzung, allerdings bei vielen eher der eigenen?
Für mich fängt wahre Wertschätzung an, wenn ich zwar meine eigenen Überzeugungen vertrete, mich jedoch vom „Recht haben wollen“ trennen kann. Es ist eine offene Haltung Unbekanntem gegenüber und des „Ich will verstehen, um was es Dir geht“. Verstehen wollen heißt „Ich sehe Dich“, „Ich höre Dich“ und „Ich fühle Dich“. Das gilt übrigens nicht nur für andere Menschen in unserem Umfeld, sondern auch für uns selbst. Erst wenn ich zumindest versuche die Motive oder Werte hinter Handlungen verstehen zu wollen, verhalte ich mich, aus meiner Sicht, wertschätzend.
Im Buch „Der kleine Prinz“ lehrt der Fuchs den kleinen Prinz, die Einzigartigkeit seiner Rose zu verstehen auch wenn sie ihn verstört und unglücklich macht, und er bestärkt ihn in seinem Verantwortungsgefühl: »Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast. Du bist für deine Rose verantwortlich.«
Sich gegenüber unbekannten Sicht- und Verhaltensweisen von anderen Menschen – egal welchen Alters, welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, welchen Landes etc. – öffnen, ist nicht nur ein Akt der wirklichen Wertschätzung, sondern trägt auch zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung bei. Dadurch erweitern wir unsere Perspektiven und tragen zur Wertschöpfung für die eigene Person, die Familie, für Teams und Unternehmen bei. Wie anders würde Entwicklungshilfe aussehen, wenn wir uns auf dieser wertschätzenden Ebene begegnen? Es wäre nach wie vor eine Entwicklung, jedoch für alle Beteiligten! Wie anders würde Führung funktionieren? Jeder könnte sie übernehmen und wieder abgeben, je nach anstehenden Aufgaben, Stärken und Fähigkeiten!
Ein kürzlich erlebtes Beispiel wertschätzender Haltung
Bei dem internationalen Frauennetzwerk Soroptimist International gibt es alle zwei Jahre einen Vorstandswechsel auf Club-, Regions-, Landes- und Weltebene. Nach einem gerade erfolgten Wechsel in einem Club in Neuseeland habe ich mich mit der Ex-Vorstandsvorsitzenden über ihre Nachfolgerin unterhalten, die einiges anders macht, als sie selbst es getan hat. Mir imponierte, wie sie damit umgegangen ist: Ihre Vorgehensweise sei es zwar ganz und gar nicht, doch sie findet die amtierende Vorsitzende großartig und bringe die Offenheit und Neugier mit, abzuwarten, was daraus wird. Natürlich unterstützt sie die neue Marschrichtung, beteiligt sich jedoch auch mit kritischen Impulsen. Wie schön wäre es, wenn Führungskräfte so ihren Nachfolgern oder Teammitgliedern begegnen könnten!
Wertschätzung von Bedürfnissen führt zur Berufung
„Deine Berufung ist das, was andere von Dir getan haben möchten.“, hört ich einmal einen Pfarrer bei einer Predigt sagen. Doch was ist es, was andere von Dir getan haben möchten? Nur mit Offenheit, Neugier und der wertschätzenden Haltung des „Verstehen Wollens“ wirst Du die wahren Bedürfnisse anderer ermitteln können. Somit bekräftigt dieser Beitrag die beschriebene Vorgehensweise im Blogbeitrag „Eigene Berufung aus den Bedürfnissen anderer ermitteln“.
Kombiniere die Bedürfnisse anderer mit Deinen eigenen Werten, Fähigkeiten und Bedürfnissen, dann kommst Du zu Deiner wahren Berufung. Deshalb ist es mindestens ebenso wichtig die eigenen Talente, Fähigkeiten, Schwächen und Fehler wertschätzend wahrzunehmen:
- Was siehst Du an und in Dir?
- Wo siehst Du Dich?
- Was hörst Du, wenn Du in Dich hineinhörst?
- Was fühlst Du in Deinem Herzen?
- Für welche Tätigkeiten bringst Du Leidenschaft mit?
- Welche Bedürfnisse hast Du?
- Was sind Deine vermeintlichen Schwächen?
- In welchem Kontext könnte die vermeintliche Schwäche eine Stärke sein?
- Welche Schwächen haben andere, die Du mit einer Deiner Stärken ausgleichen könntest?
Frei nach Gandhi „Sei Du selbst die Wertschätzung, die Du Dir wünschst für diese Welt.“, ermutige ich jeden, dem Andersartigen verstehen wollend und somit wertschätzend zu begegnen. Probiere doch mal einen Tag mit der „Ich will verstehen, um was es Dir geht“-Brille aus! Und achte darauf, wie sich das Verhalten der Personen, denen Du begegnest, verändert.