Neulich unterhielt ich mich auf einer Veranstaltung mit einem anderen Besucher über das Thema Berufung. Er sagte, Berufung oder Bestimmung höre sich für ihn so passiv an; so als ob eine höhere Gewalt darauf Einfluss hätte. Und überhaupt, für ihn gäbe es nicht DIE eine Berufung, sondern mehrere Möglichkeiten, die man aktiv ausgestalten müsse. Diese Aussage warf bei mir einige Fragen auf und gab mir den Anlass meine Einstellung zum Thema Berufung zu überdenken: Was verstehe ich unter Berufung? Ist sie wirklich passiv oder liegt es nur am Wort? Werde ich aktiver, wenn ich mich auf etwas Bestimmtes berufe? In diesem Beitrag liefere ich meine Antworten dazu.
Der Berufungsstamm
Ich bin davon überzeugt, dass wir in unserem Leben nur zu einer Aufgabe, die tief in uns verankert ist, berufen bzw. für diese eine Aufgabe bestimmt sind. Ähnlich einem Baum liegt unsere Bestimmung im Samen und zieht sich später von den Wurzeln über den Stamm in die Äste. Der Stamm gewinnt an Reife und Größe hinzu. Den Ästen, Blättern und Früchten liefert er Nahrung zum Gedeihen. Die starken Äste und weiteren Verästelungen entsprechen den unterschiedlichen Ausprägungen und Richtungen im Lauf des Lebens. Sie entwickeln sich und wachsen in verschiedene Richtungen aus dem Stamm heraus. Manche ragen hoch hinaus, manche verkümmern und kranke oder alte Äste brechen irgendwann ab.
Ähnlich dem Baum stellt sich das nach meiner Vorstellung auch mit den verschiedenen Interessen und Situationen in unserem Leben dar. Sie entspringen alle aus derselben Bestimmung, entwickeln sich jedoch unterschiedlich.
Der Berufungsstamm, z.B. „Freude in die Welt bringen“ oder „Menschen bewegen“, bleibt uns also unser Leben lang erhalten. Durch unsere unterschiedlichen Lebenssituationen und Werte, die sich im Lauf des Lebens verändern, gestalten und prägen wir die Äste und Zweige verschiedenartig. So könnte beispielsweise die Berufung „Menschen bewegen“ dazu führen, dass man Schauspieler, Physiotherapeut oder Coach oder …. wird.
Wo der Samen oder Ursprung für das liegt, wozu wir uns berufen fühlen, vermag ich nicht zu beurteilen. Vielleicht wird uns unsere Bestimmung bereits in die Wiege gelegt, vielleicht wird sie in unserer frühen Kindheit geprägt oder es gibt tatsächlich etwas für uns nicht Begreifbares, das uns für eine bestimmte Aufgabe auserwählt hat.
Vielseitigkeit als Ausdruck von lebendig gelebter Berufung
Viele Personen erzählen mir, dass sie so vielseitig interessiert sind und gar nicht wissen, ob sie überhaupt eine Berufung haben und wie diese aussehen sollte. Ich bekräftige ihre Vielseitigkeit, denn sie stellt einen gesunden, dicht bewachsenen Baum mit reichlicher Verästelung am Berufungsstamm dar. Anschließend frage ich nach der Gemeinsamkeit, die sich hinter all den Interessen verbirgt. Denn was diese Personen eigentlich haben, sind verschiedene Optionen ihre Berufung auszuleben. Über die Gemeinsamkeiten aus den vielschichtigen Interessen und den eigenen Bedürfnissen lässt sich – wenn auch zumeist nicht sofort erkennbar – die Berufung, der nährende Stamm, ableiten.
Du hast die Wahl, welchen Interessen Du nachgehen willst und wirst schnell merken, ob diese Dich wirklich erfüllen oder nur „von anderen geliehene Interessen“ sind. Solltest Du nach relativ kurzer Zeit gelangweilt, gestresst oder genervt sein, passt dieses Interesse wahrscheinlich nicht zu Dir und Deiner Bestimmung und wie der Efeu, wird Dein Berufungsstamm davon überwuchert. Achte auf emporkommende Efeuranken, denn sie führen letztendlich zum Absterben Deines Baumes. Entdecke Deinen Berufungsstamm, dünge ihn und lasse reichlich Äste und Früchte gedeihen!
Ein Beispiel
Monika hatte schon als Kind die Begabung, dass sie mit ihren Händen beruhigend auf Menschen und Tiere einwirken konnte. Das war ihr weder bewusst geworden, noch hatte sie diese Stärke weiter ausgebaut. Im Gegenteil, im Laufe des Heranwachsens hatte sie vergessen, dass sie diese besondere Fähigkeit hat. Heilen ist ihre Berufung, was ihr viele Jahre später bewusst wurde. Unbewusst ist sie ihrer Berufung zunächst im Rahmen der Familie nachgekommen. Später nahm sie verschiedene Jobs an, die jedoch nichts mit dem Heilen zu tun hatten, um als allein erziehende Mutter Geld zu verdienen. Schnell wurde ihr klar, dass es sich nur um temporäre berufliche Stationen handelte, in denen sie nicht wirklich glücklich wurde. Mit der Unzufriedenheit stieg auch der Wunsch endlich den „richtigen“ Weg einzuschlagen. Doch welcher war das?
Sie begab sich neben ihrem Job auf die Suche, wie sie ihren bis dato noch unbewussten und unbestimmten Wunsch nach Heilung in die Welt bringen könnte. Sie fragte unterschiedliche Menschen aus ihrem Umfeld, wie sich ihre Berufe in der Praxis darstellen. Sie probierte schließlich verschiedene Wege und Heilmethoden aus, lernte hinzu und näherte sich so nach und nach ihrer Berufung. Durch ein Schlüsselerlebnis bei einer ihrer Ausbildungen kam sie schließlich zurück zu ihrer Begabung. Heute ruht sie als selbständige Heilpraktikerin ganz in sich selbst. Sie wendet eine Behandlungsmethode an, die ein hohes Einfühlungsvermögen über die Hände erfordert. Wer weiß, welchen weiteren Heil-Weg sie als nächstes einschlagen wird.
Hilfreiche Fragen
- Was hast Du bisher schon alles gemacht? Liste alle Tätigkeiten, auch ehrenamtliche und Hobbies, auf.
- Welche Interessen und Fähigkeiten hast Du? Liste ebenfalls alle auf.
- Was davon hat Dir Freude bereitet?
- Bei welcher Tätigkeit, welchem Interesse oder welcher Fähigkeit verspürst Du viel Energie und ein hohes Engagement?
- Was fällt Dir auf? Worin bestehen die Gemeinsamkeiten? Was fällt völlig aus dem Rahmen? Was ist überraschend?
- Inwiefern lässt sich daraus Dein Berufungsstamm ableiten? Wie könnte er lauten? Lasse ihn breit genug (Bsp. siehe oben), damit er Dir die Freiheit lässt, neue Äste zu entwickeln.
Ich würde mich freuen, wenn Du diese kleine Übung ausprobierst und mir im Kommentarfeld oder per Mail über Deine Erfahrungen berichtest.